Weihnachtszeit

A‘ schöne G’schicht zur Weihnachtszeit von Erika Hauswirth:

“ Der ersungene Himmel „

 Letzte Nacht träumte ich von meinem Freund Manne – Gott hab’ ihn selig. Mitten zwischen den himmlischen Heerscharen stand er in dem alten grauen Rollkragenpulli und überragte mit seinen einsneunzig Länge die Cherubim, Seraphim und alle möglichen Engel, von den kleinen pausbäckigen Putten angefangen bis zum martialischen Michael. Mannes blaue Augen, rund wie Untertassen, leuchteten in seinem Gesicht, das wie von Morgenröte übergossen schien. Energisch fuchtelte er mit seinen dünnen Händen in der Luft, verlangte von der heiligen Cäcilia, die konsterniert vor ihrer Harfe saß, den Kammerton a, ersuchte die Chormitglieder um Ruhe, damit er sein Solo beginnen könne.
Noch im Traum wusste ich, dass es nur ein Traum war und doch erinnerte mich die geträumte Szene an eine aus der Wirklichkeit vor Jahren, als Manne noch nicht in den Gefilden der Seligen weilte.

Botschaft: “ Vom Dunkel zum Licht „

Es war an einem Samstagmittag im Advent als ich von einer dichten Menschenmenge durch eine Gasse in der Budenstadt des Christkindlesmarktes geschoben wurde, von der Winklerstrasse kommend Richtung Frauenkirche. Gott sei Dank konnte ich bei  der Tribüne, die vor dem Portal der Kirche aufgebaut war, mit einem scharfen Schwenk nach links einbiegen und wurde nun Richtung Rathaus aus dem Menschengewimmel ausgespieen, direkt vor die Eingangstür des Bratwurst-Rösleins. Ich betrachtete dies als einen Wink des Schicksals, betrat das Lokal und ließ das Engel- und Weihnachtsgebimmele hinter mir und sog den irdischen Geruch von gebratenen Würsten und Fleisch, Sauerkraut und Bier dankbar in mich ein, als eine Stimme aus der Kaiserstube rief: „Erika, komm rüber, wir haben noch einen Platz!“  Wir, das waren Manne und seine Frau Lorchen, die vor ihren gefüllten Platten mit Gänsebraten saßen. Manne konnte alles zur selben Zeit: Mich begrüßen, fragen, woher ich käme, ohne eine Antwort abzuwarten, dabei in großer Geschwindigkeit Klöss mit Soße, Gänsefleisch und Blaukraut verschlingend, einen begehrlichen Blick auf den Teller seiner rundlichen Frau werfen und ihr anbieten: „Ich ess schon auf, wennst net alles magst, Mauserle.“ Manne war immer hungrig, träumte Tag und Nacht vom Essen und blieb doch ständig dürr.

„Barcarole“ von J. Offenbach

Plötzlich legte er das Besteck hin und lauschte. Jetzt hörte ich es auch: Der schwache Klang eines alten Weihnachtsliedes “Macht hoch die Tür, die Tor macht weit“, drang bis zu unserem Tisch und als ich mich zu der Schallquelle umwendete, sah ich, dass ein paar Soldatinnen und Soldaten von der Heilsarmee Aufstellung genommen hatten, unmittelbar neben der Theke. Sie standen dort in ihren seltsamen blauen Uniformen, die Männer trugen Schirmmützen, und die Frauen mit ihren urtümlichen Capothütchen wirkten wie aus der Biedermeierzeit entstiegen. Eine von ihnen begleitete den Gesang auf der Wandergitarre, ein junger Mann schlug den Triangel. Sie sangen voller Begeisterung, nicht falsch aber auch nicht schön. Die dicken Brillen einiger Mitglieder der Armee beschlugen in der warmen Wirtshausluft. An den Tischen nahmen die Leute kaum Notiz, aßen und sprachen weiter, klapperten mit den Bestecken, und die Ober drängten sich zwischen den Stühlen mit vollen Tabletts und  riefen manchmal: „Vorsicht, heiß und fettig!“  Es war überhaupt ein Wunder, dass man die Heilsarmee in das Lokal eingelassen hatte; aber die Weihnachtszeit hatte wohl das Herz des Geschäftsführers weich gestimmt und darum ließ er sie heute singen. „Die brauchen etwas Unterstützung“, sagte Manne und ruckte an seinem Stuhl. „Bleib ner hockn“, meinte, ihren Ehemann beruhigend, das Lorchen, „die kummer scho mit ihrer Biggsen, dann kannst was nei du.“

“ Weihnachtslieder “

„Nein, nein“, sagte Manne, „das mein’ ich nicht, die brauchen einen Tenor, da ist ja kein Sound in dem Gesinge. Da gibt denen keiner was.“

Und schon war er aufgesprungen und eilte mit wenigen langen Schritten auf die Gruppe der Heilsarmee zu, stellte sich  zuerst hinter sie und drängte die vorderen  energisch auseinander, bis er mitten zwischen ihnen stand. Verwirrt blickten sich die Choristen an, sangen aber tapfer mit ihrem „Tochter Zion, freue Dich“ weiter, als Manne in den Gesang einstieg.  Bei  „Jauchze laut, Jerusalem“ hob sich sein strahlender Tenor über die durchschnittlichen Stimmen der Musizierenden. Wie ein Ruck ging es durch das Lokal. Am Ende des Liedes hatten fast alle Gäste ihr Besteck zur Seite gelegt und hörten andächtig dieser wunderbaren Stimme zu, die mit wenigen Tönen mehr Weihnachtszauber und Erwartung in die triviale Welt von Würsten und Knödeln zauberte, als alle beleuchteten Buden auf dem Markt zusammen. Nur wenige Unmusikalische oder total Ausgehungerte ließen sich von dem Gesang nicht beeindrucken und ernteten dafür vorwurfsvolle Blicke von ihren Tischnachbarn. Als der Chor endete, brandete Beifall auf, wie ihn das Bratwurst-Röslein vielleicht noch nie erlebte hatte. Einige Gäste riefen: „Bravo und Dacapo“, aber das war besser geschrieen, als getan, denn in dem Gesangbuch der Heilsarmee war kein Lied mehr, das Manne kannte und Noten lesen konnte er auch nicht, geschweige denn, nach ihnen singen. In seiner bürgerlichen Familie wäre es ein Unding gewesen, einen Sohn Gesang studieren zu lassen. Das war ein Gewerbe mit unsicherer Zukunft und deshalb hatte Manne einen handfesten Beruf erlernen müssen. Singen war brotlose Kunst, und Pavarottis und Mario Lanzas wachsen nicht so einfach in normalen deutschen Familien.

„Ruhe“, sagte Manne zu den verdutzten Heilsarmisten, „ich gebe jetzt ein Solo und wenn ich dich stoße“, meinte er zu dem mit der Sammelbüchse, „dann gehst du los.“

Und weil es gerade Winter war und so gut passte, sang Manne: „Wie eiskalt ist dies Händchen, gestatten Sie, dass ich es wärme“, ganz ohne Orchester, mit viel Gefühl und wunderbar klar in den Höhen. Kein hauptamtlicher Tenor des Opernhauses hätte Puccini besser gesungen. „Bravo“,  schrien die Zuhörer und immer wieder:„Bravo! Zugabe!“  „ Hast Du dort oben vergessen auf mich“, intonierte Manne aus dem „Zarewitsch“ und der Schmelz seiner Stimme verwirrte die Gemüter und machte die Mienen der Zuhörer andächtig. „Jetzt“, sagte Manne „ jetzt“,  und gab dem Heilsarmeesoldaten mit der Sammelbüchse einen Stoß, dass der fast über die eigenen Füße gefallen wäre und in das Lokal stolperte. Die Leute zückten ihre Brieftaschen und Portemonnaies, man hörte wenige Münzen klicken, mehr Scheine wurden zusammengerollt und durch den Schlitz geschoben, der Geschäftsführer nickte zufrieden, dass dieses Konzert nun ein Ende hatte, denn schließlich sollten die Menschen verzehren, zahlen und Platz für neue Gäste machen, ins Konzert konnten sie woanders hingehen.

“ Sternenbaum “

Als Manne zu seinem Platz zurückkehrte, begleitete ihn der Beifall von allen Tischen. Der Leiter der Heilsarmeegruppe bedankte sich mit einer tiefen Verbeugung und sagte: „Wenn Sie wieder einmal Lust haben, mit uns zu singen, sind Sie herzlich willkommen. Wir richten unsere Termine ganz nach Ihnen. Eine Uniform hätten wir auch. Ich glaube, wir haben noch nie soviel Geld bekommen für unsere obdachlosen Brüder und Schwestern. Segne es Ihnen der Himmel. Das wird ein wunderbarer Heiliger Abend. Vielleicht oder hoffentlich auf bald.“ Aber da hatte er nicht mit dem Protest von Lorchen gerechnet.: „ Mei Moh“,  sagte sie, „der kummt af gar kan Fall. Die ganz Zeit hob i mi scho versteckt, daß mich ja kanner siecht von unsere Bekanntn, wenn welche kummer solltn. Des passert noch, mei Moh bei der  Heilsarmee. Da singt ner selber.“

Aber diese Entscheidung, ob bei der Heilsarmee singen oder nicht, hat ein ganz anderer getroffen, und wenn mein Traum nur ein bisschen wahr gewesen ist, dann hat sich Manne ein wunderbares Schicksal im Himmel ersungen, und die Engel und Heiligen und auch die Sankt Cecilia werden sich schon an ihn gewöhnen.

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A‘ schöne G’schicht zur Weihnachtszeit
von Erika Hauswirth (erschienen in „Sei amol still und horch zu“)